Text: Helga Franke, Fotos: Teilnehmer
In der Zeit vom 17. bis 24. August 2014 überquerten sechs Mitglieder des Alpenvereins Beckum auf dem Europäischen Fernwanderweg „E 5“ die Alpen. Ziel dieser von Thomas Dreier und Peter Bellenhaus organisierten Tour war es, von Deutschland aus über Österreich bis hin nach Italien zu wandern, d. h. zu Fuß die Allgäuer, die Lechtaler, die Pitztaler sowie die Ötztaler Alpen zu überqueren. Der besondere Reiz bestand für uns darin, die unterschiedlichsten Klima- und Vegetationszonen zu durchschreiten und auf unserem Weg mit dem Rucksack von Hütte zu Hütte mit jeder Art von Wetterkapriolen fertig zu werden. Im PKW fuhren wir nach Oberstdorf unserem großen Abenteuer entgegen.
Unser Ziel am ersten Tag war das „Mountain Hostel“ in der Spielmannsau, einige km hinter Oberstdorf gelegen. Nach der langen Anreise bei sonnigem Wetter, einem kurzen Spaziergang durch die nähere Umgebung und einer kleinen Stärkung draußen sowie im Kaminzimmer gingen wir relativ früh in unser 6-Bett-Zimmer, um am Tag darauf fit zu sein.
Am nächsten Morgen machten wir uns dann auf den Weg durch die Allgäuer Alpen zur „Kemptner Hütte“. Zunächst ging es durch das Trettachtal, immer entlang des Flusses Trettach, dann einen steinreichen Weg an Wasserfällen vorbei durch den Sperrbachtobel – eine wilde Schlucht –, später über Almwiesen und auf serpentinenartigen Pfaden immer weiter hoch, bis wir schon von weitem die Hütte sahen. Dort angekommen, schmeckten uns Weizenbier und Radler auf der sonnenbeschienenen Terrasse besonders gut. Da es noch früh am Nachmittag war und das Wetter so schön, beschlossen einige von unserer Gruppe, außerplanmäßig zum Gipfelkreuz des Muttlerkopfes zu wandern. Mit herrlichen Eindrücken vom Gipfelkreuz kamen sie gerade noch rechtzeitig zum Abendessen in die Hütte zurück. Am Tisch lernten wir dann unsere Zimmernachbarn – ein Pärchen – kennen, die das gleiche Ziel wie wir hatten, sich jedoch zwei Tage länger Zeit dafür nehmen wollten. Beim „Vernatscher“ Rotwein ließen alle gemütlich den Abend ausklingen.
Der nächste Tag brachte uns Frühnebel mit zeitweiligem Regen. Auch in der Nacht hatte es geregnet. Zunächst ging es ziemlich steil einen äußerst matschigen Hang hoch zum „Mädelejoch“. Hier auf fast 2.000 m Höhe überquerten wir die Grenze zu Österreich mit Blick auf die Lechtaler Alpen. Dann folgte ein 870 m langer Abstieg – vorbei am Simms-Wasserfall – nach Holzgau. Zum Bedauern einiger von uns war keine Zeit mehr, über die längste Hängebrücke Österreichs zu gehen, da wir ab Holzgau ein Taxi nehmen wollten bis zur Materialseilbahn der „Memminger Hütte“. Von dort waren es dann fast 800 m Anstieg, allerdings begleitet von Sonnenschein! Serpentinenmäßig ging es auf teils schmalen Steigen, über Almwiesen, an einem Wasserfall vorbei mit faszinierendem Blick zurück auf den Lechtaler Alpenhauptkamm. Endlich erreichten wir die „Memminger Hütte“, wunderschön in einem Kessel zu Füßen des Seekogels gelegen, wo wir uns nach kurzer Erfrischung mit ausschließlich kaltem Wasser riesige Stücke selbst gebackenen Kuchens schmecken ließen. Bei einer phantastischen Aussicht auf die umliegenden Gipfel sonnten wir uns hinter der Hütte, wanderten weiter zu einem Schneefeld oder hängten unsere Wäsche zum Trocknen auf. Leider mussten zwei von uns anderthalb Stunden auf ihr Essen warten. Und auch die Getränke mussten selbst von der Theke abgeholt werden, wo sich eine lange Schlange bildete. Unser 8-Bett-Zimmer diente diese Nacht noch mehreren Wanderern als Notlager, die auf dem Boden unseres Zimmers und teils sogar im Flur auf Matratzen schliefen.
Von der „Memminger Hütte“ ging es an den frühmorgens im Nebel liegenden Seewiesen vorbei hinauf zur „Seescharte“ (knapp 2.600 m hoch). Gegen Ende dieses ca. einstündigen Aufstiegs galt es, das letzte sehr steile Stück über Geröll mit Hilfe der Seilsicherung am Felsen zu bezwingen. Was nun folgte, war ein nicht enden wollender, zunächst sehr steiler Abstieg ins Inntal, insgesamt fast 2.000 Hm lang, welcher berüchtigt ist für Blasen oder Gelenkschmerzen, die sich aber zum Glück bei keinem von uns bemerkbar machten. Bei einer kurzen Rast an der „Oberlochalm“ konnten wir zwischenzeitlich unseren Durst stillen oder auf dem Plumpsklo austreten. Und endlich unten in Zams angekommen, gönnten wir uns die Seilbahn zur „Venet-Gipfelhütte“ hoch. Hier wurden wir – quasi zum Bergfest – verwöhnt mit geräumigen 2-Bett-Zimmern mit Dusche und einem leckeren 4-Gang-Menü (mit Nachschlag!). Der Abend klang aus mit viel Spaß bei der Besichtigung einer Infrarotkabine mit Musik zum Entspannen und einer Hochzeits-Suite …
Überwältigt von der grandiosen Panoramaaussicht unseres Speiseraumes auf die umliegenden Dreitausender-Alpengipfel, genossen wir ein reichhaltiges Frühstücksbuffet. Auf dem sogenannten „Panoramaweg“ am Südhang des Venetbergs ging es dann hinab nach Wenns ins Pitztal, zunächst kaum Sicht aufgrund des Frühnebels, der kurze Zeit später jedoch die Schönheiten der Pitztaler Alpen freigab. Nachdem wir moorige Almwiesen auf Brettersteigen überquert hatten, erreichten wir die „Galflun-Alm“. Dann ging es weiter durch schattigen Wald und auf serpentinenartigen Fahrwegen, weshalb einige von uns lieber Abkürzungen auf schmalen Pfaden durch Heide und Blaubeerbüsche nahmen. Bei strahlendem Sonnenschein erhitzt in Wenns angekommen, löschten wir unseren Durst bei einem kühlen Weizenbier oder Radler. Der Postbus brachte uns anschließend nach Mittelberg, wo wir unsere 8 bis 13 kg schweren Rucksäcke (Ausnahme: Erwin schleppte 17 kg mit!) glücklicherweise der Materialseilbahn überlassen konnten, da nun immerhin noch etwa 1.000 Hm von uns bewältigt werden mussten. Anfangs war es ein breiter Fahrweg – an einem Wasserfall, aber auch an Baustellen vorbei –, der irgendwann aber Gott sei Dank in einen wunderschönen Bergweg überging, welcher eine einzigartige Rundumsicht bot. Erstmals tauchte die riesige Gletscherzunge des Mittelbergferners vor uns auf, die uns auf dem weiteren Anstieg vor Augen blieb. Je höher es über Felsbrocken und Gestein hinaufging, umso mehr stieß man für den heutigen Tag an seine Grenzen. Als wir die schon aus der Ferne hoch oben sichtbare „Braunschweiger Hütte“ auf 2.758 m Höhe endlich erreichten, war es deutlich kühler geworden! Umso gemütlicher war es dann in der urigen Hütte, besonders beim hervorragenden Essen (u. a. Schnitzel, Steaks, Kaiserschmarrn) mit Kachelofen bzw. Heizstrahler im Rücken. Auch hier traf man Leute wieder, die wie wir den gleichen Weg von Hütte zu Hütte über die Alpen zurücklegten. Da um 22 Uhr Zapfenstreich war und die Anstrengung des Tages sich bemerkbar machte, fielen wir müde in die Betten unseres 2- bzw. 4-Bett-Zimmers (welch ein Luxus!).
Bei Nebel (der sich wie immer verzog) haben wir uns auf die längste Tagesetappe gemacht. Über das „Pitztaler Jöchl“ (2.998 m), die Gletscher Söldens und Vent ging es an diesem Tage zur „Martin-Busch-Hütte“. Der anspruchsvolle Bergweg zum Pitztaler Jöchl ist „eine etwa 300 m lange und mit Stahlketten versicherte Querung an steiler Flanke“. Unbedingte Voraussetzungen waren hier Schwindelfreiheit und Trittsicherheit. Belohnt wurden wir mit einem einzigartigen, mittlerweile sonnigen Ausblick vom Joch auf die Gletscherwelt. Der Abstieg führte durch ein riesiges Schneefeld, wo man tief einsackte oder sogar ins Rutschen geriet. Über ein im Sommer trostlos wirkendes Gletscherskigebiet gelangten wir zum Tiefenbachferner. Von hier aus führte ein sich lang hinziehender wunderschöner Panorama-Höhenweg nach Vent hinunter, der herrliche Weitblicke auf die Ötztaler sowie die Stubaier Alpen bot. Im Ort fanden wir ein Café und die angebotenen Apfelstrudel und andere Kuchenstücke ihre Abnehmer. Dadurch gestärkt, ging es für uns auf einem Fahrweg zwei Stunden weiter entlang der „Venter Ache“, zeitweise hartnäckig begleitet von einer Schafsfamilie. Lang ansteigende Kehren führten uns schließlich zur „Martin-Busch-Hütte“, dem Ziel des heutigen Tages.
Am letzten Bergwandertag machten wir uns auf den Weg zum höchsten Punkt unserer Alpenüberquerung – der „Similaunhütte“ (3.019 m) am Niederjoch. Über stetig ansteigende Geröllfelder kamen wir nahe der Ötzi-Fundstelle vorbei. Auf dem sich anschließenden nassen Gletschereis war es nicht ungefährlich. Durch Moränenschutt passierten wir die Grenze zu Italien. Heilfroh, unbeschadet an der Hütte angekommen zu sein, machten wir uns (ohne einzukehren) aufgrund des einsetzenden Schneefalls sofort wieder auf den Weg ins Tal, der zwei Stunden dauern sollte (1.300 m Abstieg). Nachdem wir zunächst mit Hilfe der Stöcke sehr steil bergab steigen mussten, ging es irgendwann gemütlich über Almwiesen weiter ins Tal hinunter, vorbei an uralten Südtiroler Bergbauernhöfen. Leider war wegen Nebels der Blick auf den smaragdgrünen „Vernagt-Stausee“ erst spät möglich. Am „Tisenhof“ im Schnalstal angekommen, stärkten wir uns erst einmal – u. a. mit Kasknödeln – und genossen kühle Getränke, bevor wir per Bus durch das klimatisch milde Südtiroler Vinschgau nach Meran fuhren. Nach einem abendlichen Bummel durch die Stadt mit dem mediterranen Flair ließen wir den letzten Tag unserer Alpenüberquerung bei Rotwein und Pizza ausklingen.
Am nächsten Morgen brachte uns ein Taxi-Bus zurück nach Oberstdorf, von wo aus wir wieder gen Heimat fuhren.
Bei durchschnittlich 7 Wanderstunden täglich hatten wir in 6 Tagen fast 12.000 Höhenmeter zurückgelegt – 4.912 m hoch und 7.026 m runter.
Teilnehmer: Peter Bellenhaus, Marlies Bergedieck, Thomas Dreier, Helga und Josef Franke, Erwin Werka