Betrachtet man das Dachstein-Massiv von Norden, fällt es mit sanften Gletschern und über ein weitläufiges Karstplateau hinab zum Hallstädter See. Die Südseite hingegen bricht mit einer kompakten, schroffen Flanke von fast 6 km Breite und 800 m Wandhöhe in Richtung Steiermark ab.
Bereits seit 2 Jahren bestand bei meinem Kletterpartner Markus der Wunsch, einmal den Steinerweg an der Dachstein-Südwand zu klettern. Diese traditionsreiche Kletterroute wurde bereits 1909(!) von den Brüdern Franz und Georg Steiner erstbegangen. Dabei überwanden sie Kletterstellen im 5. Schwierigkeitsgrad unter der Hilfestellung eines Stieglsteckens (Stock aus Haselnussholz), mit dem der Kletterer von seinem Partner an die Wand gedrückt wurde und so den für damalige Verhältnisse hohen Schwierigkeitsgrad überwinden konnte.
Mitte September 2020 war es so weit, nach einer abendlichen Anreise zum Dachstein waren wir schließlich um 4:45 Uhr auf dem Parkplatz der Dachstein-Südwandbahn abmarschbereit. Vorbei an der Südwandhütte stiegen wir schräg hinauf in die so genannte Hundsriese und erreichten leicht querend das Einstiegsschneefeld unter der Südwand. Mit Steigeisen und Pickel war die hart gefrorene Querung kein Problem, sodass wir nach einer kurzen Rast um 7:15 in die Wand eingestiegen sind.
Im unteren Wandteil war vor allem ein hohes Klettertempo angesagt, denn wir wollten ja am Abend möglichst knieschonend mit der Gondel ins Tal schweben und uns den Abstieg über den Hunerscharten-Klettersteig ersparen. So hängte ich mehrere Seillängen zusammen und wir kletterten am laufenden Seil bis kurz vor das Steinerband, wo Markus dann die Führung übernahm. Stolz führte er durch über den ausgesetzten Quergang und die berühmte Unterbrechungsstelle, wo Anno 1909 besagter Stiegelstecken zum Einsatz kam. Wir fanden sogar diverse Haselnussstecken auf dem Quergangsband liegen, was wohl eine willkommene Hilfe auch bei neuzeitlichen Begehungen ist!
Leider verhüllte von nun an dichter Nebel jegliche Aussicht auf die umliegenden Berge und die Orientierung war dementsprechend nicht immer ganz einfach. Markus führte weiter durch den Steinerkamin. Irgendwann übernahm ich wieder und über recht originelle Kletterstellen mit steilen Piazrissen und glatten Wasserfallkaminen ging es stetig Richtung Ausstieg. Die Verhältnisse waren recht passabel, zum Glück waren die meisten Kletterstellen nach dem letzten Regen vor einigen Tagen wieder gut abgetrocknet. Nach dem Schluchtüberhang, der einzig wirklich schweren Stelle im oberen Wandteil, wurde es dann richtig schwierig mit der Orientierung im dichten Nebel. Mehrere Stände habe ich schlichtweg nicht gefunden und mussten selber gebaut werden, was meistens gut möglich war. Nach einer kurzen Querung in Richtung der Gipfelschlucht waren wir aber wieder auf der Originalroute, und die Kletterschwierigkeiten nahmen nun deutlich ab. Und siehe da: Sobald wir nach 8 Stunden Kletterzeit den Ausstieg erreichten, konnten wir auch endlich wieder die Aussicht genießen! Weit ging der Blick über den Dachsteingletscher und das angrenzende Karstplateau hinab zum Hallstädter See. Über den Westgrat stiegen wir zum Gipfel hinauf und nach einer kurzen Rast und einigen Gipfelfotos über den Randkluftsteig hinab auf den Gletscher. Hier mussten wir noch einmal das Seil auspacken, da nur einige Schneebrücken über doch recht große Gletscherspalten führten. Bald waren wir auf dem präparierten Zustiegsweg zur Seethalerhütte und beeilten uns, noch eine der letzten Gondeln ins Tal zu erwischen. Unsere Zeitplanung ging auf, und bald feierten wir auf der Austriahütte unsere Begehung der Dachstein-Südwand!